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Pader Placidus Spescha 1752 – 1833

«Ein weiches Herz auf harten Sohlen», so charakterisierte der einheimische Historiker und Filmemacher Gieri Venzin den Pader Placidus Spescha. Und er verstand es, am 25. März im Rahmen der TujetschVIVAcultura-Veranstaltungen, einem vollen Saal Interessierter anschaulich nahezubringen, was es mit dieser etwas rätselhaften Charakterisierung auf sich hat. Anhand von Zitaten, Bildern und dem von ihm mitgestalteten Dokumentarfilm illustrierte er die Vielfältigkeit und die Widersprüche dieser in vieler Hinsicht einzigartigen Persönlichkeit der Surselva.

Geboren 1752 in Trun verbrachte Placidus Spescha den grössten Teil seiner Lebens in der Bergwelt der Surselva. Die schroffen Felswände nahm er nicht als Begrenzung wahr, sondern als Herausforderung, sie zu besteigen, um den Blick über den Tellerrand der engeren Heimat zu öffnen. So erlebte man ihn durch Gieri Venzins Beschreibung als eigentlichen Freigeist. Mit dem Eintritt ins Kloster Disentis und dem Theologiestudium bestand für den aufgeweckten Landbuben wohl die einzige Möglichkeit, seinen Wissensdrang zu befriedigen. Zum Glück für ihn, wurde er vielfach an Aussenstellen als Kaplan eingesetzt. Fern von der Autorität der starren klösterlichen Hierarchie und der Enge der Klostermauern konnte er so seinen Leidenschaften nachgehen. Zahlreiche Erstbesteigungen zeugen von seinen bergsteigerischen Qualitäten (Rheinwaldhorn, Oberalpstock, Piz Terri….). Neugierig und offen für Natur und Mensch betätigte er sich als Strahler, als Sammler, als Geograph, Volkskundler…. Und er hielt seine Beobachtungen und Ideen zeitlebens unermüdlich fest.

Die Jahrzehnte vor und nach 1800 bedeuteten in der europäischen Geschichte eine eigentliche Zeitenwende. Die Französische Revolution fegte die Herrschaft des Adels weg, Autoritäten wurden in Frage gestellt und das einfache Volk verschaffte sich mehr Rechte. Diese Entwicklungen gingen an Placidus Spescha nicht spurlos vorüber. Er setzte sich vehement dafür ein, der Jugend Eskapaden zuzugestehen, um ihre Kreativität und Schaffenskraft zum Wohle der Gesellschaft nicht abzuwürgen. Er wandte sich gegen das Zölibat der Priester mit der Begründung, die «menschliche Verpaarung» sei eine Einrichtung Gottes und solle somit auch für Priester offenstehen. Die Lawinenkatastrophe von Selva bewog ihn, die Umsiedlung des zerstörten Dorfes in eine sichere Zone zu fordern. Ohne Erfolg – Tradition und blindes Gottvertrauen behielten Oberhand. Und für die heutige Zeit besonders bemerkenswert: Er wollte in Camischolas für die gefährdete Bevölkerung von Zarcuns und Rueras samt Vieh eine durchorganisierte, lawinen- und feuersichere Siedlung bauen. Quasi eine bäuerliche Vorform der heute diskutierten Resorts!

1816 erwies er sich in Trun als aktiver Sozialreformer. In der Hungerzeit des Jahrs ohne Sommer – eine globale Auswirkung des Vulkanausbruchs Tambora in Indonesien – erreichte er, dass Kinder armer Familien von reicheren ernährt wurden. Damit sorgte er für eine deutlich geringere Sterblichkeit als in den umliegenden Dörfern. So wird man dem Mann Gottes sicher verzeihen, dass er es hie und da verpasste, die obligate Messe zu lesen oder die Beichte abzunehmen, weil er wieder einmal auf ausgedehnten Bergtouren unterwegs war.

Es gäbe noch viele Anekdoten und Zitate aufzuführen, mit denen Gieri Venzin engagiert und mit Einfühlungsvermögen den «curios pader» charakterisierte. Mir persönlich hallen besonders noch die letzten Worte vor dem Tod dieses unerschrockenen Freigeistes nach: «Jetzt bricht die Hütte zusammen».

Hinweis zu einem weiterführenden Buch: Placidus Spescha: Beschreibung der Val Tujetsch. Edition und Einleitung von Ursula Scholian Izeti. Zürich: Chronos Verlag, 2009.
Wer sich den Film  anschauen möchte, findet ihn hier: Tschà – Pater Placi a Spescha – Play RTR

Text: Markus Müller, Fotos: René Rohrer

Massenbewegungen am Cuolm da Vi

„Bewegtes Tujetsch“ hiess die Veranstaltung von TujetschVIVAcultura am 15. Februar.  Der Titel bezieht sich auf die Massenbewegungen im Gebiet Cuolm da Vi, Strem, Druntobel. Über 70 Personen wollten sich über diese Bewegungen informieren lassen. Und sie wurden nicht enttäuscht. Yves Bonanomi, der wohl profilierteste Kenner der Geologie im Tujetsch, erklärte die Phänomene, die letztlich 2016 zum Felssturz im Val Strem geführt hatten, fundiert und doch einprägsam und verständlich.

Bei der Alpenfaltung ist das Tavetsch – eingeklemmt zwischen Aar-Massiv im Norden und Gotthard-Decke im Süden – so ziemlich «unter die Räder gekommen». Dabei wurden die Gesteinsschichten steilgestellt und es bildeten sich Störungszonen parallel zum Rheintal. Eine solche mächtige, sich plastisch verhaltende Störung liegt glücklicherweise am Hangfuss des Cuolm da Vi. So kann der enorme Druck der instabilen Felsmasse hier abgefedert werden.

Denn mit dem Abschmelzen der Eislasten der Eiszeit vor 24’000 Jahren lockerte sich das Gebirge, und vorher zusammengepresste Schichten begannen wegen der Schwerkraft zu kippen (Hakenwurfbildung).

Dieser Vorgang hält bis heute an und verursacht die z.T. riesigen Spalten und die andauernde Bewegung mit der Gefahr eines erneuten Felssturzes im Gebiet Cuolm da Vi . Unter diesen Umständen kann die Öffnung des Val Strem von den zuständigen Behörden nicht verantwortet werden.

Zugleich konnte Yves Bonanomi beruhigen: Eine Bedrohung des Dorfes Sedrun durch Felsmassen ist nach heutigen, nach dem letzten Ereignis vertieften Erkenntnissen nicht vorhanden.

Troccas statt Trumpf

Zum zweiten Mal führten die IG Tujetsch zusammen mit der Uniun da dunnas Tujetsch einen Troccas-Kurs durch. Am 29. Dezember und am 2. Januar trafen sich 20 Personen, um sich in die Geheimnisse dieses ausschliesslich in der Surselva gespielten Kartenspiels einweihen zu lassen. Dies gelang den beiden Kursleiterinnen und den Helfern – weitgehend Troccas-Profis –  auf kurzweilige, anregende, kompetente Art. Scart, Bagat, Cuppas oder Bastuns sind nun für weitere 20 Personen keine Fremdwörter mehr!

Dazu ist auch ein Artikel in „La Tuatschina“ erschienen.